Aufnahme in die Denkmalliste
2003
Im Oktober 2003 stellt das Landesamt für Denkmalpflege Sachsen das Filmtheater
Prager Straße, heute „Rundkino“, unter Denkmalschutz nach
§ 2 SächsDSchG. Aus dem Schreiben des Denkmalpflegers Michael Müller
an Bernd Trommler (Amt für Denkmalschutz der Landeshauptstadt Dresden)
heißt es dazu:
»Das 1970-1972 errichtete Rundkino ist aus baugeschichtlichen, künstlerischen
und städtebaulichen Gründen ein Kulturdenkmal. Es gehört ohne
Zweifel zu den gestalterisch und konstruktiv bemerkenswertesten Kinobauten der
Nachkriegsmoderne in beiden Teilen Deutschlands. Dabei erscheint das Rundkino
in Aufbau und Form singulär. Als Teil der Prager Straße ist das Rundkino
auch städtebaulich von Belang. Es bildete eine der Dominanten des gesamten
Straßenzugs. Leider wird diese Dominantenfunktion durch die Verdichtung
der Prager Straße in den letzten Jahren beeinträchtigt, ist aber
strukturell noch evident. Hinsichtlich der Bedeutung vergleichbare Beispiele,
wie die beiden Berliner Kinos „International“ und „Kosmos“,
stehen schon seit geraumer Zeit in der Denkmalliste Berlins.«
Gedanken zum Denkmalschutz
Das sogenannte “Rundkino” ist neben dem
Filmtheater “Kosmos” in Berlin das bedeutendste Kinogebäude
aus der DDR und zugleich der erste Kinoneubau in Dresden nach dessen Zerstörung.
Das Gebäude basiert auf einem Wettbewerbsentwurf der Architekten Winfried
Sziegoleit und Manfred Fasold; ausgeführt wurde der Entwurf von Gerhard
Landgraf und Theo Wagenführ (1969-1972).
Es ist in Form und Funktion Schluss- und “kultureller Höhepunkt des
Aufbaugebietes Prager Straße“. Als “Erstaufführungshaus
für den Bezirk Dresden“, das den Film programmatisch zur Hochkultur
erheben sollte und weitere gesellschaftliche Aufgaben (u.a. Jugendweihe) übernahm,
erfüllte es eine repräsentative Funktion.
Dies spiegelt sich in der Architektur des Gebäudes, vor allem in Größe
und Gestaltung des großen Saales wieder, der mit seinen ehemals 1018 und
jetzt 898 Plätzen sowie der Leinwand von 9,2 x 21 Meter neben der Lichtburg
in Essen und dem Zoo-Palast in Berlin zu den größten noch existierenden
historischen Kinosälen Deutschlands zählt. Auch ist das Gebäude
mit seiner vertikal gegliederten, metallisch verkleideten Zylinderform, der
Dreiteilung der Fassade und der Zurücksetzung des Erdgeschosses der selten
konsequente Ausdruck der Architekturhaltung der sechziger Jahre mit ihrer Raumfahrteuphorie
und Zukunftszugewandtheit: Explizit sollte diese Architektur einen schwebenden
Eindruck erzeugen.
Seit der Neubebauung der Prager Straße nach 1989 in eine hinterhofartige
Situation gelangt, vermag das Gebäude seine hervorragende städtebauliche
Funktion innerhalb dieses Ensembles nicht mehr zu erfüllen. Gleichwohl
strahlt es als architektonisches Glanzstück der weltweiten Architekturmoderne
der 1960er Jahre den Zeitgeist wie kaum ein anderes Gebäude aus, und dies
nicht nur in Dresden, sondern insgesamt auf dem Gebiet der ehemaligen DDR.
Hervorzuheben ist die filigrane, in sich äußerst konsequente äußere
Gestalt, ihre Materialwahl und Durchbildung. Das Erdgeschoss ist in eine rundumlaufende
Glasfassade mit Stützen aus poliertem schwarzen Naturstein, die optisch
verschwinden, aufgelöst. Auf die Fassade des vorkragenden Obergeschosses
erzeugen – als Kunst am Bau - ornamentale Stahlrahmen einen raffinierten
optischen Gestalt-Switch-Effekt. Der zurücktretende, den Saal beherbergende
Hauptzylinder wird von vertikalen, weiß emaillierten Aluminiumlamellen
betont. Dies alles zielt vor allem nachts auf eine Ufo-Ästhetik: Auf dem
Boden das lichtgefüllte Erdgeschoß; über seinem Lichtschub das
ebenfalls leuchtende Obergeschoß, aus ihm hervorsteigend der strahlenförmig
beleuchtete 20 Meter hohe Zylinder.
Im Inneren sind die Säulen des Foyers mit Edelstahl ummantelt, die Wände
mit hellem bulgarischen Sandstein verkleidet.
Das Obergeschoß erreicht man über eine
breite, frei schwingende, gerade geführte Treppe. Hier befindet sich der
dramatisch geführte Höhepunkt des Gebäudes, der große Saal
mit trapezförmigem Grundriß, einer ursprünglich expressionistisch
anmutenden, stark gegliederten Faltung an der Rückwand (von der nur ein
Teil noch erhalten ist) und einer aufwendigen Deckenlösung mit Akustik-Belüftungs-
und Beleuchtungselementen. Dieser Saal beeindruckt in seiner Großzügigkeit,
in der Festlichkeit und Theatralik von Form, Dimension, Beleuchtung. Hervorzuheben
ist auch die Trennung von Zu- und Abgang zum Saal über geschwungene Treppen
an dessen Rückseite und die erhaltene, tief gewölbte Leinwand, konstruiert
für das Königsformat des Kinos, den 70mm Breitwandfilm. Damit steht
der Saal auch in der Tradition der großen Roadshow-Kinos.
Bewahrenswert ist das Gebäude auch wegen seiner Bauweise. Hier wurden erstmals
im Gesellschaftsbau der DDR Industriebauformen in ihrer reinsten Form angewendet:
Im zylindrischen Gleitbetonverfahren wurden bis dahin Chemiesilos gebaut. Innovativ
war auch die Seilnetzhängekonstruktion mit Druck- und Zugring und 96 radial
gespannten Stahlseilen (Bauakademie Berlin). So ist das Rundkino auch ein Zeugnis
der Einfallskraft des industrialisierten Bauens in der DDR nach der zentral
geforderten Industrialisierung (V. Parteitag der SED, 1958).
Insgesamt ist das Kino – auch durch die hohe Bausumme – Zeugnis
des erreichten Selbstbewusstseins der DDR Ende der 1960er Jahre, mit der vollen
Rehabilitierung der Bauhaus-Moderne.
Autoren: Heike Delitz (Architektin und Philosophin),
Dr. Joachim Fischer (Soziologe), Jan Winkler (Ingenieur)
[Die noch nicht ausgeführten Maßnahmen wurden nur zur Erlangung der
Betriebsgenehmigung geduldet und sind entsprechend den denkmalpflegerischen
Erfordernissen noch zu korrigieren.]